In der Woche vom 02. – 05. April hatte unsere Schule das große Vergnügen, eine beeindruckende Künstlerin kennenzulernen: Alejandra Herrera. Gebürtig aus Chile, jetzt seit 17 Jahren in Los Angeles lebend, ist sie nicht nur eine talentierte Performance-Künstlerin, sondern auch eine liebevolle Mutter von drei Töchtern. Ihre Töchter wachsen zweisprachig und mit dem Hintergrund zweier unterschiedlicher Kulturen auf. Die Prägung durch die Militärdiktatur von Augusto Pinochet in Chile ist in der Performance ebenso Thema wie die “Balance” mit der völlig anderen Lebensweise der US -Amerikaner in North Hollywood, wo die Künstlerin nun mit ihren drei Töchtern und ihrem Mann lebt. Auch der Wechsel von der unabhängigen Künstlerin in Chile zur dreifachen Mutter in North Hollywood ist immer wieder präsent.
Am Freitag, den 05. April, führte Alejandra in der 7./8. Stunde eine fesselnde Performance vor, bei der sie die Schülerschaft mit ihren tiefen Emotionen zum Staunen brachte. Doch zu ihrer Kunst kam auch etwas Kritik, da nicht jeder etwas mit ihrem Auftritt anfangen konnte und einige diese Art von Kunst nicht verstanden haben.
Zum Auftritt (verfasst von Herrn Meyer):
In der Duo-Performance von Alejandra Herrera Silva und ihrer Tochter Trinidad McMurry geht Einiges zu Bruch! Zuerst einmal die Erwartungen, dass man als Mitglied des Publikums ganz still auf seinem Platz bleiben kann und einer Art Theaterstück zusieht.
Die Künstlerin fordert bereits zu Beginn die etwa 100 Personen im Publikum auf, näherzukommen. Vorsichtig wagen sich einige näher an die ungewöhnlichen Aufbauten in der Aula. Geschirr, Teller, Tassen, Untertassen und unzählige Gläser, mit Worten wie „Chaos“, „Curiosa“, „Fear“ usw. beschriftet, werden von zwei Baustrahlern erleuchtet. Die beiden agierenden Frauen werfen große Schatten an die Vorhänge hinter sich. Nachdem sich Alejandra Herrera umgezogen hat, kommunizieren beide Performerinnen immer wieder auf Spanisch miteinander.
In ihrer Aktion in Ilsede werden Tassen, an langen Bindfäden gebunden, als kraftraubende Glocken von Herrera gestemmt. Jede Zuckung ihrer Arme bringt die aneinanderschlagenden Tassen zum Klingen. Als Tassen zerbrechen, beginnt Trinidad McMurry sie einzusammeln und zusammenzukleben. Ein scheinbar sinnloses Unterfangen, denn Herrera hinterlässt im weiteren Verlauf ihrer Performance immer mehr Scherben und die stetig aufräumende, ordnende Tochter kommt nicht mehr hinterher: der anfangs fast skulpturhaft ordentliche Aufbau in der Aula versinkt zunehmend im Chaos. Trinidad scheint hier immer wieder mit ruhiger Ausstrahlung und fast beschützender Gelassenheit Ordnung schaffen zu wollen. Ein starkes Bild, welches die 16jährige Schülerin hier vermittelt.
Die Symbole erwecken Assoziationen an die klassische Rollenverteilung in einer Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Und immer wieder die klassische Mutterrolle, die hier aber oft umgekehrt zu laufen scheint. Ein Wäscheständer, auf dem säuberlich aufgehängte weiße Hemden hängen, verstärkt diese Gedanken. Als die Künstlerin eine Flasche Wein öffnet und sich die rote Flüssigkeit über ihr weißes Hemd ergießt, erscheint das Wort “equality” auf ihrem Oberkörper. Sie fordert das Publikum auf, den deutschen Begriff “Gleichberechtigung” laut zu rufen. Zurückhaltend flüstern vereinzelte Gäste das Wort, bis endlich eine Schülerin das Wort selbstbewusst in die Aula brüllt! Szenenapplaus und jetzt hat Herrera das Publikum. Die Aufmerksamkeit bleibt, nach anfänglicher absoluter Stille, nun positiv gespannt auf die weitere Entwicklung.
Die physischen Herausforderungen der Performance steigern sich: Herrera balanciert eine große Schüssel voller Wasser vor ihrem Oberkörper. Auf der Schüssel steht “looking for balance”! Das Thema zieht sich visuell und inhaltlich durch die gesamte Arbeit: mal balanciert Alejandra Weingläser mit Schlagworten auf zwei Silbertablets, dann ergreift sie die Hand ihrer Tochter und Hand in Hand versenken sie ihre Arme bis zu den Ellenbogen in einem riesigen Glas Milch.
Auch hier Symbole, die an Mutterschaft und Weiblichkeit erinnern. Im Publikum sollen, nach Aussage Herreras, eigene Anknüpfungspunkte und Erinnerungen ausgelöst werden. Sie bietet die Bilder, die Interpretation bleibt beim Betrachter. Ein Höhepunkt der Performance ist sicher, als die Künstlerin von Mitgliedern des Publikums gestützt, auf einem Stapel Teller balanciert und diese im Wegrutschen lautstark zerbrechen. Immer wieder gibt es ruhige Phasen, dann wieder gefährlich chaotische Balanceakte…ein Auf und Ab an Spannungskurven.
Als die Künstlerin sich bei einem Sturz an Scherben schneidet, beruhigt sie das Publikum: „Do not worry, hands bleed a lot“!
In der Tat ist dieser ungeplante Unfall für einige Betrachter fast eine Aufforderung, in die Performance einzugreifen. Dies bleibt jedoch aus. Herrera beendet die Performance, vor den Knien ihrer Tochter sitzend, die ihr Wein in den Mund gießt. Wie durch Blut färbt sich ein weiteres Hemd von Herrera rot, während sie mit geschlossenem Mund die Melodie von “Wind of Change” summt…das zweite Liedzitat, nachdem vorher bereits Teile der chilenischen Nationalhymne gesungen worden.
Eine bildgewaltige, physische und gleichzeitig hochpolitische Performance mit viel Stoff zum Nachdenken!
Was genau ist Performance-Kunst und warum kann sie für viele zunächst fremd erscheinen?
Performance-Kunst ist eine Kunstform, die oft außerhalb traditioneller Grenzen agiert. Anstelle von Gemälden oder Skulpturen werden hier Körper, Bewegungen und oft auch Worte als Medium genutzt, um Gefühle, Ideen oder soziale Botschaften zu vermitteln. Alejandra Herreras Performance war ein fesselndes Beispiel dafür. Sie integrierte ihren Körper, Sprache und sogar visuelle Elemente in ihre Darbietung und schuf so eine ganz eigene Welt vor unseren Augen. Ein spezieller Workshop, den Alejandra am Donnerstag zuvor veranstaltet hat, war eine Gelegenheit, tiefer in die Welt der Performance-Kunst einzutauchen. Mitglieder der Kultur-AG und der Kunstkurs des 12.Jahrgangs wurden inspiriert, ihre eigenen künstlerischen und persönlichen Grenzen zu erweitern.
Was Performance-Kunst so faszinierend und gleichzeitig vielleicht fremd erscheinen lässt, ist ihre Unvorhersehbarkeit, ihre Direktheit und vielleicht auch unsere eigene Voreingenommenheit! Anders als bei statischen Kunstwerken ist hier jeder Moment flüchtig und einmalig. Es erfordert Offenheit und die Bereitschaft, sich auf das Unbekannte einzulassen. Alejandra selbst sprach am Dienstag über die Veränderungen in ihrem Leben – von Chile nach Amerika, von der Einzelperson zur Mutter – und wie diese Erfahrungen ihre Kunst geprägt haben. Für viele von uns war Alejandras Arbeit ein erster Einblick in eine Kunstform, die wir vielleicht zuvor nicht wirklich verstanden hatten. Ihre leidenschaftliche Darstellung und ihre offene Herangehensweise haben uns gezeigt, dass Kunst nicht nur schön sein muss, sondern auch Fragen aufwerfen und zu Diskussionen anregen kann.
Es war eine Freude, Alejandra Herrera und ihrer Familie bei uns am GGI begrüßen zu dürfen.
verfasst von Zineb Zaoui (Jahrgang 12) und Herrn Meyer